BIEST
KIMONO 2.0

Foto: Palma Llopis/Nuphar Blechner

Nicht erst seit ihren intensiven Arbeitsaufenthalten in Japan beschäftigen sich BIEST mit dem Aufbau, der Struktur, dem Selbst-und Weltverständnis, der Verarbeitung und dem Denken, das sich in und mit einem Stück Stoff wie dem Kimono verdichtet. Mit der Serie Kimono 2.0 haben sie eine Übersetzung, eine Adaption und eine Aktualisierung in der Verknüpfung ihrer eigenen Fragen mit der langen Tradition des Kimonos vorgenommen.

Roland Barthes schreibt in „Das Reich der Zeichen“ – seiner Reflexion über ein Land, das er Japan nennt; im Nachvollzug einer Schrift eher als in der Beschreibung einer Realität – über das Verhältnis von einem Gegenstand zu dem ihn umgebenden Raum: „Man könnte sagen, der Gegenstand wirke auf eine zugleich unerwartete und überlegte Weise dem Raum entgegen, in dem er doch immer gelegen ist. Zum Beispiel: Das Zimmer bewahrt seine geschriebenen Grenzen, das sind die Matten, die niedrigen Fenster, die bespannten Gitterwände (ein reines Bild der Fläche), in denen man die Schiebetüren nicht zu unterscheiden vermag. Alles ist hier Zug, als hätte man das Zimmer in einem Pinselstrich geschrieben. Indessen wird diese Strenge ihrerseits in einer zweiten Disposition ausgeglichen: die Wände sind leicht und zerbrechlich, die Mauern versetzbar, die Möbel lassen sich beiseite stellen; so findet man im japanischen Zimmer jene ‚Phantasie‘, dank derer alles Japanische (in der Kleidung vor allem) dem Konformismus seines Rahmens entgegenwirkt – ohne sich die Mühe zu geben oder das Schauspiel zu entfalten, es umzustürzen.“

Ein japanischer Kimono ist flach – auf ungewohnte Weise widersetzt er sich Körper und Raum und weiß doch um seine Bedingtheit durch und in jenen – er ist „reines Bild der Fläche“ – sein Muster setzt sich ohne Unterbrechungen vom Rückenteil über die Ärmel bis zum Saum des Vorderteils fort. Dieserart erscheint er letztlich wie ein Gemälde, ein in einem Strich geführter Zug. Er verweist auf nichts als sich – er kann einen Körper umhüllen, er kann sich sogar einem jeden Körper ohne gewaltsame Anpassung seines Schnitts anpassen. Aber er bedarf keines Subjekts, er will keines schaffen. Er ist das Gegenteil der westlichen Idee von Konfektion und doch gleichzeitig eine regelrechte Idealkonfektion. Durch Faltung, Schnürung, Raffung und Drapierung nimmt er einen jeden Körper (in sich) auf.

Ist darin ein Individuum verpackt? Die Frage ist irrelevant. Das „Verpacken“, nicht der Inhalt zeichnet menschliches Tun aus. Einen Kimono kann man nicht allein anlegen; dass er angelegt wurde, heißt durch Ausweisung der Abwesenheit, es gab ‚Zubereitung‘ … im Tun, nicht im Sein.

Inspiriert vom japanischen Kimono sind auch BIESTs Experimentierfelder Schichtungen und Wicklungen, Asymmetrien und Dekonstruktion; die Stoffbahn wird auch hier um den Körper drapiert. Die Kleidung dient nicht in erster Linie der Präsentation eines Körperideals, sondern ist adaptierbare Hülle. Der erste Gedanke beim Entwurf ‚westlicher Kleidung‘ gilt der Form, die sie annimmt, wenn sie getragen wird, darum bilden meist dreidimensionale Designentwürfe (mittels hochidealisierter Figurinen) den Ausgangspunkt. Hinter einem Kimono verbirgt sich dagegen ein ganz anderer Ansatz. Im Zentrum steht nicht die Trägerin, sondern die Kleidung, die Umhüllung (ohne Zentrum) selbst, die den Status eines Kunstwerk einzunehmen weiß.

Ein Kimono egalisiert einen Körper, vielleicht egalisiert er sogar ein Subjekt, Individualität… das darf wohl als das Gegenteil der Paradigmen westlicher Mode gelten. Und auch in BIESTs Vorgehen kommen weite und dicke Baumwollgewebe zum Einsatz, die faltenähnliche, scheinbar zufällige Raffungen aufweisen. Ungewöhnliche Drapierungen, die sich erst aus der Nähe offenbaren, lose Fäden vom unteren Saum herunterhängend, unifarben: schwarz, navy blau und im äußersten Fall eine Kombinationen der beiden Unifarben… all das betont: hier stehen andere Fragen im Vordergrund. Ein Fest der Hülle, der Umhüllung, der Zeichnung.

Wenn Issey Miyake schon Anfang der 70er Jahre sagt, dass er Kleidung mit dem Ziel entwerfe, den Körper allein in „ein Stück Stoff“ zu hüllen und dabei die menschliche Silhouette – also auch als Gegenentwurf zur körperbetonten und -betonenden Maßschneiderei – dekonstruiert, schreiten BIEST mit einem wiederum neuen Verständnis von Körper, Raum. Konfektion, Flexibilität und Ökologie zur Tat. BIESTs Kimono bietet nicht nur Hülle, sondern nach Bedarf auch Enthüllung. Er zeigt sich, aber, und so diese es will, auch seine Trägerin. Er verhüllt seine Funktionalität nicht. Es gibt Verstecktes und Verstecke, so man will. Es bzw. er gibt Transparenz, Fläche, Flachheit, aber auch Kontur, Grenze, Raum und Präsenz. Er lässt verschwinden, ermöglicht zugleich erscheinen.

Wenn Barthes schreibt: „Vom Reichtum des Dings und von der Tiefe des Sinns kommt man nur um den Preis einer dreifachen Qualität los, die allen hergestellten Gegenständen auferlegt wird: sie müssen präzise, beweglich und leer sein.“ finden BIEST hier im japanischen Verständnis von Leere und Präzision, von Potenzialität und Beweglichkeit intensive Anknüpfungspunkte zur eigenen Praxis und Fragestellung. Auch in BIESTs Kleidung ist alles Zug, sie vollzieht sich. Man möge mit Barthes ergänzen: „ohne sich die Mühe zu geben oder das Schauspiel zu entfalten, es umzustürzen.“ obwohl die Paradigmen westlichen Modeverständnisses und hiesiger Bekleidungsindustrien sicherlich den einen oder anderen Umsturz verdient hätten.

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