BIEST
Geisterfaust

oder

Was ich bin, werdet ihr sein

…So besteht etwas eben nur durch seine Abgrenzung zu einem anderen, ob nun semiotisch, räumlich, körperlich oder ideell. Erst die Ein-Grenzung eines Phänomens, die Fokussierung, die Extrahierung ermöglicht eine Erkenntnis. Mit Geisterfaust zeigen Silvio Scheller und Mirko Hinrichs Raum-Erfahrung, die, durch Reduktion und Konzentration, Weitsicht evoziert.
Die Idee einer schützenden Hülle, von der Bekleidung – zur Höhle – zur Hütte, ist so jung, wie der Mensch selbst und also ein steinaltes Bedürfnis. Und war nicht das über den Küchentisch geworfene Bettlaken schon die fantastische Idee von Höhle, Schutz, Abgrenzung und eigenem Raum? Doch wie genau definiert sich dieses Bedürfnis? Ist eine Hülle schon schützend, weil sie umgibt und eine Abgrenzung also einen zusätzlichen, konstruierten Raum zwischen Umwelt und dem eigenen Körper schafft? Ja, macht die Hülle vielleicht erst die eigene Ausdehnung, das Selbst erfahrbar?
Im Zeitalter der wehrhaften Steinarchitekturen, in einem Kulturkreis, aus dem diese nicht wegzudenken sind, neu über Nomadentum und mobile Hüllen nachzudenken, mag paradox klingen; doch scheint es eine aktuelle Diskrepanz zwischen potenzieller und erfahrener Realität zu geben, die dergleichen Fragen virulent werden lässt.
So ist vielleicht das solide, ein Menschenleben zumeist weit überdauernde, eine Menschengröße weit überragende neuzeitliche Konstrukt der wohnlichen Hülle doch nicht mehr das dem menschlichen Bedürfnis zeitgenössisch adäquate Modell. Der die Welt umspannende Fluss von Informationen, Wirtschaftsgütern, Wissen und sich permanent in Bewegung befindender Individuen steht in einiger Diskrepanz zu den vorzufindenden Modellen und Strukturen von Sesshaftigkeit und Beständigkeit. Die Einsicht, dass das Charakteristikum von wirtschaftlichen, sozialen, kommunikativen Netzwerken eben deren Prozesshaftigkeit, Situativität und Interaktivität sind, gewinnt an Fundament. Sprachlich interessant: Denn auch hier gibt es wieder die Implikation eines Festen, Beständigen und eben nicht Fließenden, das Sicherheit zu vermitteln scheint. Wir werden die Sicherheit jedoch nicht mehr im Außen verwirklicht finden. Die Einsicht schmerzt noch immer und findet ihr Pendant in den sich zerklüftenden Biografien einer Generation, die sich noch immer nicht entschieden hat, ob sie die Auflösung tradierter sozialer und ökonomischer Strukturen als Chance oder Verlust ansehen will. Ob sie die Kraft zum beständigen Wandel oder doch für den Versuch, am Beständigen festzuhalten, aufbringen will.
Die erhoffte steinerne Solidität jedoch bröckelt; wird marode, beschränkt mehr, als dass sie sich ästhetisch und funktional approbiert. Das Versprechen von Schutz, Abgrenzung und Individualität durch massive architektonische Setzungen klingt nicht mehr nach seelenruhiger Befriedigung. Es bleibt eine verwirrende Unruhe und ein Misstrauen gegenüber dem Sich-Einrichten, dem Gesetzten, dem Aus-Harren, dem Anhäufen.
Aber wer will denn Revolution? Wir wissen nicht erst seit Hardt und Negri, dass das System, und nun formulieren wir es seicht, von Innen heraus „befragt“ werden muss, da eine Kritik, die sich einer Subjekt-Objekt-Gegenüberstellung bedient, ob ihrer sich selbst ausgrenzender Positionierung keine auflösende Kraft werden kann; so gehen wir also hinein: Die Angst vor dem Vergänglichen ist die Angst vor der Natur, ja vor dem Sein.
Nicht umsonst haben Hinrichs und Scheller in diesem Projekt zueinander gefunden; beide eint die Idee der Reduktion, ja der Essenz; es ist die Idee eines mobilen Kokons; die Möglichkeit eines Denkraums, fremdbestimmt und selbsterfüllt.

Ein modulares Box-System

Hinrichs und Scheller stellen die Minimal-Lösung für einen maximalen, mobilen Raum vor; ihre Box ist überall innerhalb kürzester Zeit aus vorgefertigten Modulen zu installieren. Mit einem variablen Grundriss gibt es beinahe keine Beschränkung, die Box könnte sich überall einfügen. Assoziationen zu Positionen wie Gordon Matta-Clark und Sol Lewitt ergeben sich genauso, wie die zu den aus der Not geborenen provisorischen und autonomen Barackenarchitekturen in den Megacities Indiens oder Südamerikas.

Diese Hülle will sich in etwas fügen; selbst jedoch ein Raum sein, der aber eben situativ flexibel einem größeren eingestellt werden kann. So bietet er, kontextabhängig implementiert, das Potential, sowohl kommunikativer Raum, als auch meditative Zelle oder aber funktionaler Ort zu sein. Aus Überresten einer ehemaligen Messearchitektur entstanden, ist nicht nur der Auf- und Abbau denkbar einfach, sondern finden sich hier eben auch Ansprüche an Wiederverwertbarkeit und ökologische Verantwortung erfüllt.

Ausstellung: Industriemuseum, Marianne Brandt Wettbewerb, Chemnitz, 2013

Ausstellung: Berlin Design Selection, Design Miami Art Basel, 2013

Foto: Tobias Kruse/OSTKREUZ

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