BIEST
NIEDERLAGE

Oranienburg, Ortsteil Lehnitz, Berlin 2015

Markante Topographie kann zur Besiedlung einladen, sie provoziert, verspricht besondere Aura, „bedeutendes Zusichkommen“. (Bloch) Und auch für BIEST bedeutet sie eine Einladung und eine Provokation zur Erfahrung, Erörterung, Erforschung, Erkenntnis, aber auch zur Ergebnisoffenheit. Biest-Grundlagenforschumg.

Vor Nichts möchte man so sehr die Augen verschließen wie vor den Szenarien des Krieges, in denen moralische Abgestumpftheit, perverse Abgründigkeit und enthumanisierte Macht ausgelebt werden. Der Krieg hat im Verlauf seines historischen Wandels immer auch neue Formen von Ereignishaftigkeit produziert. Der Archäologe der Aktualität beginnt in der Medienhalde zu graben – in Zeitungen, im Internet, in Bildarchiven. Er lässt die letzten gerade einmal die letzten Jahrzehnte passieren und findet die Schlachtfelder: Israel, Irak, Afghanistan, Indonesien, Syrien, Sri Lanka, Saudi Arabien, Algerien, Frankreich, Irland … die Liste scheint schier unendlich und umfasst zumal nur die ‚gut dokumentierten Ereignisse’ und die, die wir als relevant genug erachteten, Krieg genannt zu werden. Ganz Archäologe versammelt er die Bildartefakte in der Hoffnung, aus um Reihen oder und Konstellationen ,Theoreme und Sinnkomplexe erkennen zu können. Gibt es eine Ordnung des Krieges? Bei der Durchsicht und Reihung von Bilddokumenten mit zerfetzten Autos, zerfetzten Körpern, eingerissenen Häuserfronten, Geröll und verstreuten Splittern schält sich ein wiederkehrendes Motiv heraus: der Bombenkrater. Der erste Eindruck ist Tristesse und Trivialität. Eine Deformation, als Spur eines gewaltigen Gewaltakts. Weder sehen wir Opfer noch Täter. Der Fokus auf das Loch blendet weitgehend das Umfeld mit seinen individuellen Bewohnern und seinen kulturellen Eigenheiten aus. Baustellenästhetik – das ist alles. Leere Bilder. Fertig und doch unfertig. Kann der Krater, jene Aushöhlungen der Erde und das gewalttätige Verdrängen allen Lebens und aller Kultur – zum Symbol der Destruktivität, zum stillen Mahnmal werden? Das Zeigen der Effekte mag aufgrund der Kraterausmaße eindrucksvoll sein oder auch komisch­marginal, weil die Bombe der Erdoberfläche kaum mehr als ein Kratzer zugefügt hat. Die Erfahrung der Leere, der Orientierungslosigkeit, des vergangenen Infernos und der Apokalypse machen aus der Kraterlandschaft nicht nur ein Sinnbild der industriell­militärischen Destruktionsproduktion, die Wüstenhaftigkeit stellt eine moderne Form der Erhabenheit dar. Andererseits ist das dreidimensionale Bild eines Erdloches, das ­ erst einmal kontextlos daher kommend ­ an den Betrachter heranrückt, auch von dramatikloser Armut. Vergleichbar des Blickes in die Weite einer erhabenen Landschaft – so man denn in Bildern Caspar David Friedrich denken möchte. Hier und in ihnen bleibt das Rätsel präsent, warum sie den Blick anziehen, wie die Entstehung genau sich vollzog, wann sie sich vollzog und was das eigene Sein darin eigentlich zu suchen hat. Was soll der Betrachter sehen, wenn er in die Höhlung des Kraters schaut?

Ein Perspektivwechsel ist vorzunehmen das Nichts nicht als Nichts, sondern als Sinn, als Metainhalt anerkannt werden kann. Zumindest wäre so ein Kritikpotential möglich. Nur selten sieht man jemanden, der sich in die Mitte der Leere wagt. Zu selten wagen wir uns in die Mitte der Leere. Als erfordere es besonderen Wagemut, ins Zentrum verrauchter Kraft zu treten. Es ist, als wäre dem Stück aufgerissener Erde eine Magie eigen, eine Kraft, die wie der Nachhall der Explosion im Unsichtbaren sich fortsetzt und die Menschen auf Distanz zu halten vermag. Ein heiliger oder unheiliger Ort? Das Starren in die Leere hat etwas Fassungsloses. Man gewinnt den Eindruck, dass am Ort des Nichts ein Warten waltet, ein Warten auf die Erscheinung oder auf die Erkenntnis. Das Loch ist das leere Grab. Das Loch wird zur Projektionsfläche oder zur Erprobung der Vorstellungskraft. Wo diese versagt, übt es dennoch einen Sog für den Blick aus, der sich in einem unheimlichen Ort versenkt. Unheimlich ist er deshalb, weil er sich – nach Worten Sigmund Freuds – als einer erweist, an dem man sich auskennt. Im Rücken das Bekannte, vor sich die Verwüstung, ein aufgerissener Schlund, der seine Opfer schon verdaut hat. Das Unheimliche provoziert den Wunsch nach dem Versteckten, dem Heimlichen und trotzdem vertraut ist und Sicherheit vermittelt. Das Spektakel ist allemal vorbei. Das Loch in der Erde verwandelt sich in wucherndes Leben, das stärker ist als jede Destruktion, ja ist es nicht wie so oft die Destruktion, die das Leben bewirkt?

Foto: Ina Schoenenburg/OSTKREUZ

Sofort-Auswertungsbericht: Ausschnitt Luftaufnahme Lehnitz, PUBLIC-RECORD OFFICE LONDON 22.03.1945

DGM-Darstellung: Landesvermessungsbehörde LGB, 2012

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